Workshop: So wird die Open-Science-Praxis in den Wirtschaftswissenschaften attraktiv

von Dr. Christian Breuer, Dr. Tamara Pianos, Dr. Guido Scherp, Olaf Siegert und Dr. Doreen Siegfried

Am 17. Februar 2020 fand in der ZBW in Hamburg ein Workshop “Open Science in den Wirtschaftswissenschaften – From Politics to Practice” zusammen mit zwölf Forschenden und Lehrenden aus den Wirtschaftswissenschaften statt. Open Science in der Wirtschaftsforschung wurde hier einmal ganz alltagspraktisch unter die Lupe genommen:

  • Unter welchen Bedingungen ist Open Science für Wirtschaftsforschende persönlich attraktiv und wie könnten sie sich ein persönliches Engagement konkret vorstellen?
  • Welche Informationen zum Thema Open Science würden Wirtschaftsforschenden persönlich weiterhelfen?
  • Wie schätzen Wirtschaftsforschende die Bedeutung von Open Source in den Wirtschaftswissenschaften ein?

Offene Praktiken zur Selbstvermarktung im Wissenschaftsbetrieb nutzen

Zu Beginn erläuterte Prof. Dr. Isabella Peters, Professorin für Web Science an der ZBW, in ihrem Vortrag (PDF) die Idee und Bedeutung von Open Science für die Wissenschaft. Dazu stellte sie einige Praxisbeispiele vor und betonte, dass sich Faktoren für Offenheit wie Online-Zugänglichkeit, Open Access und Datenverfügbarkeit positiv auf Zitationen auswirken können. Grundsätzlich seien viele Praktiken transparenter Wissenschaft auch im Sinne einer Profilierung im Wissenschaftsbetrieb nutzbar. Als Einsteigertipps formulierte sie:

  1. Erstellen Sie eine eigene Profilwebsite.
  2. Veröffentlichen Sie eigene Publikationen parallel auf genau dieser Profilwebsite, auf der Institutshomepage oder auf Dokumentenservern.
  3. Überlegen Sie sich genau Ihr konkretes Ziel (etwa wen möchten Sie erreichen und was sollen Ihre Forschungsergebnisse bewirken?), um dann die geeigneten digitalen Instrumente auszuwählen.

Open Science ist im Maschinenraum der Forschung angekommen

Die Rolle von Open Science in den Wirtschaftswissenschaften wurde 2019 auch auf der Jahrestagung der wirtschaftswissenschaftlichen Fachgesellschaft „Verein für Socialpolitik“ in einem Panel diskutiert. Dr. Willi Scholz, wissenschaftspolitischer Referent der ZBW, stellte beim Workshop in Hamburg die Ergebnisse des Panels vor. Demnach seien die Prinzipien offener Wissenschaft im „Maschinenraum der Forschung“ angekommen und ein kultureller Wandel in Richtung Open Science habe insbesondere bei den jüngeren Forschenden eingesetzt. Das „Geschäftsmodell der Wissenschaft“ der letzten fünf bis zehn Jahre sei somit in Zukunft nicht mehr tragfähig. Präregistrierung und Replikationsstudien aber auch neue qualitative Indikatoren seien wichtige Betätigungsfelder. Für die Umsetzung sei allen voran die Wissenschaft selbst gefragt und weniger die Wissenschaftspolitik.

Ökonominnen und Ökonomen sehen großen Unterstützungsbedarf

Dr. Guido Scherp, Leiter der Abteilung „Open-Science-Transfer“ an der ZBW, stellte in seinem Vortrag (PDF) erste Ergebnisse einer neuen Studie zu Open Science in der Wirtschaftsforschung vor: Open Science ist als Begriff bei Ökonominnen und Ökonomen durchaus geläufig, und es gibt eine breite Zustimmung zu allgemeinen Open-Science-Prinzipien. Die Anwendung konkreter Praktiken ist aber aufgrund fehlender Reputation, Anreize, Zeit, aber auch Unterstützung eher gering. Die Studie zeigte einen erheblichen Unterstützungsbedarf bei konkreten Open-Science-Praktiken auf.

Auszug aus „Ergebnisse der Umfrage zu Open Science in der Wirtschaftsforschung“, Dr. Guido Scherp – PDF-Download

Nach den Impulsvorträgen wurde in drei parallelen Sessions je eine der zentralen Fragen des Workshops diskutiert.

Was sind attraktive Bedingungen für Open Science?

Bereits bei den ersten Karriereschritten (Promotion, Habilitation) muss Open Science unmittelbar mit Anerkennung verbunden werden. Die Ausübung von Open Science sollte zum Karriere-Booster werden und nicht zum Hemmschuh. Derzeit werden durch Berufungsvoraussetzungen wie den Publikations-Impact falsche Anreize gesetzt. Open- Science-Praktiken werden hingegen allenfalls indirekt unterstützt, etwa wenn eine hochrangige Fachzeitschrift voraussetzt, dass die verwendeten Daten öffentlich zugänglich gemacht werden. Open-Acces-Publikationen oder Replikationsstudien, die zu Wissensdiffusion beitragen und die Glaubwürdigkeit der empirischen Wirtschaftsforschung erhöhen können, werden jedoch bisher nur wenig honoriert.

Auch das Teilen von relevanten Forschungsdaten wird zum Hemmschuh für eine wissenschaftliche Karriere, wenn diese in der Folge von anderen für eine hochrangige Publikation verwendet werden können, die der eigenen Forschung im Weg stehen könnten. Da einschlägige Rankings (wie das Handelsblatt-Ranking) ausschließlich auf die Reputation von Journals abstellen, wird das Teilen von Daten selbst dann nicht honoriert, wenn der dazugehörige Artikel, in dem die Daten beschrieben werden, häufig zitiert wird. Es sei denn, dieser ist in einem hochkarätigen Fachjournal publiziert, was für rein datenbasierte Artikel eher untypisch ist sowie in der Regel mit erheblicher zeitlicher Verzögerung verbunden ist. Der Kreis der Workshopteilnehmenden war sich einig, dass Promotionsordnungen und Berufungsverfahren das Engagement für Open Science anerkennen müssten.

Die gute (internationale) Sichtbarkeit wurde als ein zentraler Vorteil von Open Science hervorgehoben. Dabei geht es neben der persönlichen Sichtbarkeit auch um die erhöhte Sichtbarkeit von (Rand-)Themen.

Da umständliche Bedienungsanleitungen oder Klickpfade der Tod aller Open-Science-Apps seien, wurde zudem die einfache Handhabbarkeit von Open-Science-Anwendungen gefordert.

Wie können sich Wirtschaftsforschende selbst engagieren?

Als Beispiele für die Öffnung der Wissenschaft aus ihrer täglichen Praxis nannten die Anwesenden den offenen Zugang zu selbst verfassten Lehrbüchern, die Veröffentlichung älterer eigener Forschungsdaten und das Teilen eigener Infografiken aus Vorlesungsskripten oder Lehrbüchern. Ein Reminder („Haben Sie an Ihre Zweitveröffentlichungsoptionen gedacht?“) könnte dabei helfen, alles frei verfügbar zu machen, bei dem es keine rechtlichen Bedenken gibt.

Was sind hilfreiche Informationen zum Thema Open Science?

Grundsätzlich formulierten die Workshop-Teilnehmenden den Wunsch nach einem zentralen Informationsportal zum Thema „Open Science“, in dem Informationen zu den zugehörigen Teilbereichen aus der Perspektive als Autorin oder Autor dargeboten wird. Als besonders relevant wurden dabei rechtliche Fragen und Fragen rund um Open Access genannt. Ergänzend wurde angemerkt, dass eine breitflächige Vermarktung eines solchen Informationsportals wichtig sei.

Welche Bedeutung hat Open Source?

In den Wirtschaftswissenschaften lässt sich ein hohes Bewusstsein für die Nutzung von Open-Source-Software beobachten. Klassiker sind beispielsweise R und Python in der Datenanalyse. Aber auch Software wie LibreOffice/OpenOffice (Textverarbeitung), Inkscape (Vektorgrafiken) und Scribus (Erstellung von Postern) werden als Ersatz für kommerzielle „Standardsoftware“ eingesetzt.

Neben einer schnellen und kostenlosen Verfügbarbarkeit ist dabei ein zentrales Auswahlkriterium, dass Open-Source-Lösungen als anerkannt gelten und eine große Anwendercommunity haben. Speziell in der Lehre senkt der kostenfreie und unbeschränkte Zugang zudem die Eintrittsbarriere für Anwendungen deutlich (etwa im Fall von R). Dass die Nutzung von Open-Source-Lösungen mit offenen Datenformaten der besseren Replizierbarkeit von Forschungsergebnissen dient, wird ebenfalls als Vorteil gesehen. Gleichzeitig erhöhen natürlich auch zur Verfügung gestellte Codes und Daten aus nicht Open-Source-Quellen die Transparenz und Replizierbarkeit.

Das Bereitstellen beispielsweise eigener Python-Software und R-Skripten als Open Source wird hingegen kaum praktiziert. Zumindest an einer in der Diskussionsrunde vertretenen Einrichtung steht den Forschenden ein GitHub-Repository als zentrales Versionsverwaltungssystem zur Verfügung.

Fazit: Den Open-Science-Kuchen in kleine Stücke aufteilen

Professor Klaus Tochtermann, Direktor der ZBW, bilanzierte im Wrap-Up dieses Workshops, dass der Begriff „Open Science“ als „Regenschirm“-Begriff zu unscharf und in seiner Gesamtheit ausgesprochen schwierig zu vermitteln sei. Er wird vor allem mit Transparenz in Verbindung gebracht. Zur Kommunikation mit Personen, die sich nicht schon seit Jahren mit der Thematik befassen, sei er nicht wirklich geeignet. Die vielen unter dem Dach von Open Science mitgedachten Konzepte wie Open Access, Open Source, Open Educational Resources müssen daher gezielt herausgegriffen und besser erläutert sowie mit konkreten Problemstellungen wie der Nachvollziehbarkeit und der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft verknüpft werden.

Auch im Austausch mit Forschungsförderern oder Universitäten sei Open Science als Gesamtkonzept zu sperrig. Deshalb sei es nötig, jeweils einzelne, greifbare Aspekte herauszustellen und die Vorteile, die sich für Individuen oder Institutionen daraus ergeben, klar zu kommunizieren. So könnte beispielsweise die Änderung einer Promotionsordnung zur Unterstützung offener Praktiken (etwa die Anerkennung von Open-Access-Publikationen) ein konkreter Schritt sein. Denkbar seien auch ganz konkrete Unterstützungsangebote für Forscherinnen und Forscher auch zu Fragen wie „Welche Software sollte ich in diesem konkreten Fall benutzen? Wie mache ich meine Daten nachnutzbar?“

Autor:innen:
Dr. Christian Breuer (Abteilungsleitung „Wirtschaftsdienst und Intereconomics“, ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft), Dr. Tamara Pianos (Leitung der Abteilung „Informationsvermittlung“, ebenfalls ZBW), Dr. Guido Scherp (Leitung der Abteilung “Open-Science-Transfer“, ZBW, und Koordinator des Leibniz-Forschungsverbunds Open Science), Olaf Siegert (Abteilungsleitung „Publikationsdienste“ und Open-Access-Beauftragter der ZBW), Dr. Doreen Siegfried (Leitung Marketing und Public Relations, ZBW)

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